Flora Kliem

„Nur wenn ich das Beste draus mache, kann es schön werden“

Er sieht imposant aus, der Bogen, den Flora Kliem zu Beginn des Trainings zusammenbaut. Da wird geschraubt, gespannt und diverses Zubehör verstaut. Drei Kilogramm wiegt das Sportgerät am Ende. Köcher, neun Pfeile aus Aluminium, Sehne, Stabilisator und Schusszähler gehören dazu. Und nicht zu vergessen, das Schaf, das am Schaft von Erwin – so heißt der Bogen – baumelt. Die langen Haare werden mit einem Zopfgummi gebändigt, und wenige Sekunden später ist die 22-Jährige vom ASC Göttingen/Team BEB hoch konzentriert. 18 Meter entfernt steht die Scheibe in der Vereinssporthalle, der Durchmesser des 10er-Rings beträgt gerade einmal vier Zentimeter und 12,2 Zentimeter, wenn sie draußen über 70 Meter schießt. Und Flora Kliem trifft. Sie ist eine der besten Para-Bogenschützinnen Deutschlands, wurde schon zweimal Deutsche Meisterin und Dritte bei den Berlin Open im Jahr 2019 – ihrem ersten internationalen Turnier.

Der Bogensport und der ASC Göttingen sind für Flora Kliem ein Zuhause geworden. Seit ihrem Unfall im Jahr 2013, durch den sie ein Polytrauma an Rücken und Beinen erlitt und seit dem sie einen Rollstuhl nutzt, hat sich im Leben der jungen Frau so gut wie alles verändert. Der Umzug von Berlin nach Göttingen mit 18 Jahren, die neue Schule, die sportliche Umstellung auf das Bogenschießen – Flora Kliem hat mit dem Prozess, sich mit der Behinderung zu arrangieren, ein neues Leben begonnen. „Es war von Anfang an keine Option zu sagen, ich habe keinen Bock mehr. Nur wenn ich das Beste aus der Situation mache, kann es auch schön werden“, sagt sie. Charakterlich habe sie sich sehr verändert. „Ich gebe nicht mehr so schnell auf.“ Für eine mentale Präzisionssportart, wie das Bogenschießen, eine unabdingbare Voraussetzung. Kombiniert mit vier Trainingseinheiten pro Woche, bei denen sie jeweils bis zu 170 Schuss absolviert, die beste Bedingung, um sich ihren Traum von den Paralympics 2024 in Paris zu erfüllen. Auch, wenn sie während der Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie zwischenzeitlich in ihrer Wohnung schießen muss.

Heike Werner