20.08.2023

Sechs Mal Edelmetall, ein Mal Paralympics-Quotenplatz

Rotterdam/Hannover. Die ersten European Para Championships sind Geschichte – am Sonntag ging die Premiere dieses Multisport-Events zu Ende.
Über knapp zwei Wochen kämpften 1.500 Sportler*innen in zehn Sportarten in Rotterdam um EM-Medaillen und teilweise um Plätze für die Paralympischen Spiele.
Dieses Format soll zukünftig im Vier-Jahres-Rhythmus, immer ein Jahr vor den Paralympischen Spielen, stattfinden.
Zum Abschluss steuerten die Para Badmintonspieler Thomas Wandschneider und Rick Hellmann (beide VfL Grasdorf/Team BEB) gleich drei Mal Gold (gemeinsam im Doppel und jeweils im Einzel) zur deutschen Medaillenausbeute bei.
Insgesamt gewannen die Sportler*innen aus Niedersachsen sechs Mal Edelmetall (3 Gold/1 Silber/2 Bronze) und sicherten einen Quotenplatz für die Sommerspiele in Paris im kommenden Jahr.

 

Elf Sportler*innen aus Niedersachsen zählten zur deutschen Delegation, die insgesamt 58 Sportler*innen umfasste.
Der Behinderten-Sportverband Niedersachsen (BSN) zieht ein Fazit aus niedersächsischer Sicht.
„Sportlich haben wir eigentlich alles erlebt, souveräne Siege im Para Badminton, aber auch vorerst verpasste Paralympics-Qualifikationen im Rollstuhlbasketball. Für die größte Überraschung hat sicherlich Para Bogensportlerin Flora Kliem mit dem Gewinn des Quotenplatzes für Paris gesorgt.“, so Anders Spielmeyer – Ressortleiter Leistungssport des BSN. „Organisatorisch war es eine tolle Veranstaltung. Kurze Wege zwischen den einzelnen Wettkampfstätten, zum Teil mit Finalentscheidungen mitten in der Stadt. Auch von den Aktiven habe ich gehört, dass sie es sehr genossen haben, neben ihren Wettkämpfen bei der ein oder anderen Sportart vorbeizuschauen und sich mit Sportler*innen anderer Sportarten auszutauschen.“


Nachfolgend die Platzierungen und Hintergrundinformationen zu den Sportarten:

Platzierungen

 

Sportart

Platzierung

Sportler*innen

Disziplin

Para Badminton

1. Platz

Rick Hellmann/Thomas Wandschneider

Doppel

1. Platz

Rick Hellmann

Einzel

1. Platz

Thomas Wandschneider

Einzel

3. Platz

Marcel Adam

Einzel

Viertelfinal-Aus

Jan-Niklas Pott

Einzel

Viertelfinal-Aus

Jan-Niklas Pott (mit Katrin Seibert)

Mixed

Para Bogensport

1. Platz Quotenplatzturnier

Flora Kliem

 

Para Radsport

2. Platz

Vico Merklein

Straßenrennen

3. Platz

Vico Merklein (mit Annika Zeyen und Andrea Eskau)

Mixed Team Relay (Staffel)

13. Platz

Vico Merklein

Zeitfahren

Rollstuhlbasketball Damen

4. Platz

Lena Knippelmeyer

 

Rollstuhlbasketball Herren

4. Platz

Alexander Budde

Jan Haller

Tobias Hell

Jan Sadler

 

 

Para Badminton

Die Para Badmintonspieler Marcel Adam, Rick Hellmann, Jan-Niklas Pott und Thomas Wandschneider (alle VfL Grasdorf/Team BEB) haben die Erwartungen erfüllt.
„Wir fahren als Favoriten nach Rotterdam. Als Weltmeister im Doppel kannst du nicht sagen, wir schauen mal wie weit wir kommen.“, so Hellmann im Vorfeld.
Und: sie gewannen – mit je einer Goldmedaille im Einzel und gemeinsam mit Gold im Doppel – was es zu gewinnen gab.
In einem spannenden, teils von langen Ballwechseln geprägten Finale gegen die Franzosen, setzte sich die beiden Weltmeister vom Bundesstützpunkt in Hannover mit 2:0 (21:19, 21:18) im Doppel durch.
Wenige Stunden später gab es im Einzelfinale für Wandschneider ein Wiedersehen mit David Toupé aus Frankreich. Auch hier siegte Wandschneider in zwei Sätzen (21:15, 21:17) und krönte sich zum Doppel-Europameister.
Ebenso wie sein Teamkollege Rick Hellmann, der den Schweizer Luca Olgiati in einem packenden Match mit 2:1 (21:11, 15:21, 21:13) schlug.
Marcel Adam sorgte für die vierte Medaille aus niedersächsischer Sicht. Sein Halbfinal-Aus bedeutet nicht nur die Bronzemedaille – bei der EM gab es kein Spiel um Platz drei – sondern wichtige Punkte in der Paralympics-Rangliste und auf dem Weg nach Paris.
Ärgerlich, dass er im Viertelfinale auf seinen Trainingspartner Jan-Niklas Pott traf. Das Weiterkommen von Adam bedeutete in diesem deutsch-deutschen Duell gleichzeitig das EM-Aus im Einzel für Pott, der auch im Mixed mit Katrin Seibert nach einer knappen Niederlage ebenfalls im Viertelfinale ausschied.
„Wir sind froh, dass sich unsere Arbeit am Bundesstützpunkt in Hannover ausgezahlt hat. Gerade ab dem Halbfinale haben wir gesehen, dass die Favoritenrolle Druck auslösen kann und Spiele dann nicht mehr ganz so locker laufen. Aber unsere Spieler haben diese Situation trotzdem gut gemeistert.“, so Bundesstützpunkttrainer Jens Janisch.

Insgesamt sammelten die Para Badmintonspieler mit ihren Erfolgen bei diesem EM-Turnier wichtige Punkte auf dem Weg zu den Paralympics in Paris, wobei die internationale Konkurrenz nur in einigen, wenigen Startklassen aus Europa kommt.

 

Para Bogensport

Die größte Überraschung der European Para Championships aus niedersächsischer Sicht: Flora Kliem vom ASC Göttingen/Team BEB.
Die 25-jährige Kliem hatte sich erst im Mai gemeinsam mit ihren Ärzten dazu entschieden, ihr linkes Bein amputieren zu lassen. Bisher hatte sie aus dem Rollstuhl geschossen. Ihr Training stellte sie nach und nach um, erst vor rund drei Wochen gab es dann die ersten Einheiten vom sogenannten „Stehstuhl“. In Rotterdam schied sie zwar bei der Europameisterschaft früh aus. Parallel wurde aber noch ein Quotenplatzturnier ausgetragen, in dem es um die Plätze für die Paralympics in Paris 2024 ging. Und hier drehte Kliem richtig auf. Gewann Duell um Duell und stand schließlich in einem packenden Finale gegen die favorisierte Ukrainerin Shevtshenko. Nach einem 1:1 zum Auftakt hieß es bald 3:3 und dann sogar 3:5 für die Ukrainerin. Doch Kliem glich zum 5:5 aus – mit einem Stechpfeil musste die Entscheidung her. Kliem behielt die Nerven, schoss eine Neun. Die Ukrainerin eine Acht.
„Unfassbar. Ich bin Dienstag aus dem EM-Turnier ausgeschieden und dachte, ich hänge nur hinterher. Aber ich konnte mich für das Quotenplatz-Turnier noch einmal super fokussieren. Meine internationale Premiere und dann lief es einfach so gut. Ich freue mich einfach unfassbar“, so die euphorisierte Kliem.

Mit dem Finaleinzug hatte Kliem einen Quotenplatz für die Paralympischen Spiele 2024 für die deutschen Para Bogensportler*innen gewonnen.

 

Para Radsport

Vico Merklein (GC Nendorf) kam als WM-Silber- und WM-Bronzemedaillengewinner direkt von der Weltmeisterschaft aus Schottland mit der Fähre nach Rotterdam.
Und auch hier ging es mit Edelmetall weiter. Silber gab es im Straßenrennen.
Nachdem Merklein mit technischen Problemen zwischenzeitlich den Kontakt zur Führungsgruppe verlor, kämpfte er sich im Rennverlauf wieder heran und wehrte zudem Ausreißversuche der Konkurrenz erfolgreich ab. Zum Ende der letzten Runde setzten sich vier Italiener an die Spitze des Feldes.
Sie ließen der Konkurrenz auf dem schmalen Kurs keine Möglichkeit zum Überholen, bis Davide Cortini zum Zielsprint anzog.
Hier fand Merklein die Lücke, folgte und distanzierte die restliche Gruppe. Zu Cortini konnte er so kurz vor dem Ziel jedoch nicht mehr aufschließen und gewann mit einer Sekunde Rückstand Silber.
Bereits zum Auftakt hatte Merklein im Staffelrennen, dem Mixed Team Relay, gemeinsam mit Annika Zeyen und Andrea Eskau die Bronzemedaille gewonnen.
Der enge und teilweise holprige City-Kurs war eine Herausforderung für die Handbiker*innen und ließ wenig Spielraum für Attacken.
Im Zeitfahren, dass etwas außerhalb des Zentrums von Rotterdam stattfand, belegte er Rang 13.

 

Rollstuhlbasketball Damen

Die Rollstuhlbasketball Damen um die Osnabrückerin Lena Knippelmeyer (RSC Osnabrück/Team BEB) waren mit dem Ziel der Paralympics-Qualifikation nach Rotterdam gereist.
Dafür musste der Finaleinzug her, den die Damen dann aber nach einer 57:34-Niederlage gegen Großbritannien verpassten.
Im Spiel um die Bronzemedaille holten die deutschen Spielerinnen gegen Spanien einen 17-Punkte-Rückstand auf, gingen mit 45:45 in die Overtime und hatten hier auch die Chance auf den Sieg.
Doch die Spanierinnen spielten ihren knappen Vorsprung clever aus und siegten mit 49:48 in der Overtime.
Schwerer als die verlorene Bronzemedaille dürfte aber das Verpassen der vorzeitigen Paralympics-Qualifikation wiegen.

Eine letzte Chance gibt es noch über ein Repechage-Turnier, dass im kommenden Frühjahr stattfindet.

 

Rollstuhlbasketball Herren

Auch die Rollstuhlbasketball-Herren mit Alexander Budde, Jan Haller, Tobias Hell und Jan Sadler (alle Hannover United/Team BEB) verpassten die vorzeitige Qualifikation für Paris.
Die Überraschung im Halbfinale gegen das favorisierte Team aus Großbritannien blieb aus. Gegen den späteren Europameister schieden die Deutschen deutlich aus (63:42).
Und – wie bei den Damen – gab es auch hier im Spiel um Platz drei eine Niederlage, allerdings gegen Gastgeber Niederlande (51:58).
„Wir sind natürlich enttäuscht. Wir wollten eine Medaille mitnehmen, wollten uns direkt für Paris qualifizieren. Aber wir haben in der Vorrunde zu viel liegen lassen und auch im kleinen Finale haben wir phasenweise nicht so Basketball gespielt, dass wir die Bronzemedaille verdient hätten.“, so Bundesstützpunkttrainer Martin Kluck. „Immerhin halten wir durch Platz vier den Paralympics-Traum am Leben.“

Auch im Herren-Wettbewerb gibt es die letzte Chance zur Qualifikation für die Paralympics im Repechage-Turnier Anfang 2024.